Montag, 10. Juni 2019

Das Gleichnis von den anvertrauen Pfunden. Versuch einer heutigen Nacherzählung von Lukas 19,11–27



Auf einer internationalen Welthandelskonferenz überlegen die Teilnehmenden, wie man für einige der ärmsten Länder mehr Wohlstand erreichen kann. Der Entwicklungshilfeminister eines „Geberlandes“ stellt vier große Kredite zur Verfügung, damit dort viel Gutes für das jeweilige Land erwirtschaftet werden kann:
100 Millionen Dollar, 50 Millionen Dollar und 10 Millionen Dollar, sogar zweimal. Nach 10 Jahren soll geprüft werden, welche Wirkungen die Entwicklungshilfekredite gebracht haben.
Der erste Finanzminister eines Empfängerlandes sieht mit den 100 Millionen seine große Chance: Da in seinem Land von einem ebenfalls mit Entwicklungshilfe finanzierten Atomkraftwerk Atommüll zurückbleibt, kann man diesen bisher nicht verwenden. Durch geschickt politische Verhandlungen und durch den „Ankauf“ von Fachwissenschaftlern und Technikern gelingt es ihm dadurch, eine Atombombe zu entwickeln. So kann er sich bei den Großmächten als fast gleichwertiger Partner einbringen und die feindliche Bedrohung aus dem Norden scheint endlich beseitigt zu sein.
Der Finanzminister eines anderen Landes treibt mit dem geliehenen Geld von 50 Millionen die chemische Industrialisierung voran. Er lässt große Industrieanlagen errichten ohne Rücksicht auf die dort vorbeiführenden Gewässer. Ein großes Fischsterben wird zum Problem; dennoch verfügt sein Land bald über einen gewissen Reichtum.
Der Finanzminister eines weiteren Landes baut mit dem 10 Millionen-Kredit eine Fabrik zur Fischverarbeitung, die nur relativ wenigen Menschen Arbeit und Wohlstand bietet, aber durch Kläranlagen bliebt das Wasser sauber. Die Fischer behalten auch ihre Arbeit.
Der Finanzminister des letzten Landes, der ebenfalls einen 10 Millionen-Dollar-Kredit erhält, hat den Eindruck, dass der Kredit zu gering ist. Er steckt das Geld in die Nationalbank seines Landes, muss sich um nichts mehr kümmern, geht Golf spielen und lässt sich von der Nationalbank eine Yacht finanzieren.
Nach 10 Jahren findet die angekündigte Welthandelskonferenz tatsächlich statt. Die Finanzminister der mit den Krediten bedachten Länder tragen dem Entwicklungshilfeminister ihre Bilanzen vor, um zu belegen, wie sie das Geld erfolgreich vermehrt haben.
Der erste Finanzminister berichtet, wie durch den Ausbau der Nuklearenergie sein Land international nun fast zu den „Global Players“ gehört. Auch der Feind aus dem Norden wurde von der entwickelten Atomstreitmacht abgeschreckt. Der Finanzmann betont, dass er den Kredit ohne Probleme mit den von der Welthandelsbank festgelegten Zinsen zurückzahlen könne.
Der zweite Finanzminister weist daraufhin, wie die chemische Industrie seines Landes überdurchschnittliche Gewinne macht und dies zu einem Bauboom in der Hauptstadt geführt hat. Kein Problem ist es für ihn also, den Kredit zurückzuzahlen.
Der dritte Finanzminister gesteht ein, dass ihn der Umweltschutz so viel gekostet hat, dass sich seine Fischverarbeitungsfabrik kaum noch rentiert. Immerhin könne sein Land den Kredit zurückzahlen.
Der vierte Finanzminister tritt ziemlich selbstbewusst und frech auf und sagt: Er habe den Eindruck, dass dieser Entwicklungsminister aus dem Geberland ein ganz übler Typ sei, der dort abkassiert, wo er weder investiert noch irgendetwas bezahlt habe. Er wolle die armen Länder nur von sich abhängig machen. Er habe die 10 Millionen darum seiner Nationalbank gegeben; aber die Inflationsrate sei so in die Höhe geschossen, dass seine 10 Millionen gerade noch 8 Millionen wert seien. Mit diesen Finanzmachenschaften wolle er nichts zu tun haben.
Die ersten beiden Finanzminister erwarten nun neben viel Lob natürlich auch neue finanzielle Zusagen des reichen Landes, ja dass sie vielleicht den Kredit auch gar nicht zurückzahlen müssen.
Da geschieht etwas Verblüffendes: Der Entwicklungsminister des Geberlandes sagt: „Ich habe euch viel Geld anvertraut, damit ihre Gutes für Eure Bevölkerung tut. Was habt Ihr jedoch mit den 100 und den 50 Millionen gemacht? Ihr habt Krieg produziert, gefährliche Stoffe und massenweise Umweltgifte euren Nachkommen hinterlassen, ja viele Generationen müssen mit diesen Altlasten leben und werden auch noch davon krank. Darum soll der Finanzminister, der in den Umweltschutz investiert hat, die 10 Millionen behalten. Von Ökonomie hat er offensichtlich keine Ahnung, aber er hat die Zukunft der Menschen seines Landes immer im Blick gehabt. Deshalb bekommt er die 8 Millionen des vierten Finanzministers noch dazu. Er hat nämlich verstanden, dass Geld allein nicht glücklich macht und dass man seine Freiheit und seine moralischen Werte nicht für Geld verkaufen darf.
Dem vierten Finanzminister aber schrieb der Entwicklungshilfeminister des Geberlandes ins Stammbuch: „Ich bin zwar nicht der liebe Gott, aber so viel habe ich verstanden: Das Wort Minister heißt „Diener“, und ein Finanzminister hat den Menschen seines Landes zu dienen. Wer sich nicht als Diener versteht und die Gelder des Landes zum langfristigen Wohl der Menschen einsetzt, sollte so schnell wir möglich abgesetzt werden und dann am besten in der Produktion arbeiten; also in der Fischfabrik des Landes, wo die künftigen Generationen Zukunft haben.
©  Reinhard Kirste
relpäd/Lukas 19,11-27, 20.03.2019

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